Steigende Materialkosten – wer zahlt den Preis?

Welche Auswirkungen haben die Inflation und insbesondere die steigenden Rohstoffpreise auf bestehende Werk-, Dienst- oder Bauverträge? Um sich vor kolossalen Preissteigerungen aufgrund von Materialknappheit oder verlängerten Lieferzeiten zu schützen, könnten Unternehmer dazu übergehen, ihre Rechnungen zu erhöhen. Doch müssen sich Verbraucher dies gefallen lassen?

Das ZEV fasst die gesetzlichen und vertraglichen Vorschriften zusammen, die Sie vor willkürlichen Preiserhöhungen schützen!

Rohstoffpreise steigen und fallen, je nach Angebot und Nachfrage.  Wenn sie steigen, ist es erstmal nicht verwunderlich, dass die Unternehmer die zusätzlichen Kosten bei Vertragsabschluss auf ihre Kunden abwälzen.

Vor Vertragsschluss sind die Fachleute in der Festlegung ihrer Preise frei. Allerdings können Kostenvoranschläge eine Gültigkeitsdauer vorsehen. In diesem Fall sind Unternehmer an die angebotenen Preise gebunden. Außerdem ist es nicht in ihrem Sinne, im Kostenvoranschlag horrende Preise zu veranschlagen, da sie sonst Gefahr laufen, den Kunden an die Konkurrenz zu verlieren.

Nach Vertragsschluss ist die Situation eine andere.

Das Prinzip der Vertragstreue

Eines der grundlegenden Prinzipien des deutschen und französischen Rechts ist die Vertragstreue: Wenn der Vertrag geschlossen wurde, ist er von den Parteien auch einzuhalten. Nach Unterzeichnung eines Vertrags, ganz gleich welcher Art, sind Sie also an die getroffenen Vereinbarungen gebunden.

Nach französischem Recht

Nehmen wir ein Beispiel: Sie haben ein Haus in Frankreich und möchten den Dachboden sowie Wände und Fenster isolieren. Nachdem Sie verschiedene Kostenvoranschläge eingeholt und verglichen haben, entscheiden Sie sich für die Beauftragung eines Unternehmers aus Frankreich. Unterliegt der Kostenvoranschlag französischem Recht, wird er durch Unterzeichnung der Parteien vertraglich bindend.

Folgende Elemente muss ein Kostenvoranschlag zwingend enthalten:

  • Datum und Gültigkeitsdauer
  • eine detaillierte Beschreibung der auszuführenden Arbeiten,
  • die benötigte Menge an Materialien und deren Kosten,
  • die Arbeitskosten,
  • Anfangsdatum und voraussichtliches Enddatum der Arbeiten,
  • Maßnahmen bei Zahlungsverzögerungen
  • und natürlich der Gesamtpreis ohne und mit Mehrwertsteuer (Normalsatz 20%; ermäßigter Satz von 10% wenn Ihre Immobilie älter als zwei Jahre ist; 5,5% für energetische Sanierungsarbeiten).

Eventuelle Preiserhöhungen (Rohstoffpreise, Materialkosten, Lohnkosten) sind grundsätzlich vom Unternehmer und nicht von Ihnen zu tragen.

Nach deutschem Recht

Wenn Sie die Bauarbeiten von einem deutschen Unternehmer durchführen lassen und der Vertrag deutschem Recht unterliegt, ist die Sachlage komplizierter. Achten Sie gut darauf, was Sie unterschreiben.

Wenn Sie einen Kostenvoranschlag einholen, handelt es sich dabei nicht um ein verbindliches (Vertrags-)Angebot, sondern nur um eine vorläufige Einschätzung der zu erwartenden Kosten. Ein Vertrag ist erst geschlossen, wenn der Unternehmer Ihnen ein Angebot vorlegt, das Sie unterschreiben.

Bis zur Unterzeichnung eines Vertrags kann der Unternehmer bei der Preisgestaltung also beliebig von seinem Kostenvoranschlag abweichen.

Wird der Vertrag später geschlossen und dabei vereinbart, dass der Kostenvoranschlag Vertragsgrundlage ist, kann der Unternehmer von dem dort angegebenen Preis abweichen, allerdings nicht mehr als 20 %.

Die Überschreitung des Kostenvoranschlags kann nur vermieden werden, wenn dieser einen Festpreis enthält oder vereinbart wurde, dass er verbindlich ist. In diesem Fall ist der Unternehmer an den Preis gebunden und Sie sind vor etwaigen Preiserhöhungen geschützt. 

Aber Achtung! Ihr Vertrag kann spezielle Bestimmungen oder Klauseln enthalten, die es dem Unternehmer erlauben, den Preis seiner Arbeiten auch nach der Unterzeichnung noch zu ändern.

Die vertraglichen Bestimmungen

Wie bei jedem Vertrag sind die Parteien frei, zusätzliche Klauseln aufzunehmen. Diese unterliegen aber bestimmten Voraussetzungen und müssen den Parteien bei der Unterzeichnung auch bekannt sein. 

Nach französischem Recht

Die clause de révision de prix ist für den Unternehmer eine der einfachsten Möglichkeiten, um sich eine Preisänderung vorzubehalten.  

Dank dieser Bestimmung kann er, unter Berücksichtigung der Entwicklung der Rohstoffpreise, den ursprünglichen Preis anpassen. Allerdings kann er den neuen Preis nicht beliebig festlegen. Er darf seine Berechnung nicht auf die Entwicklung des Mindestlohns, die Inflation oder den allgemeinen Preisindex stützen. Der Referenzindex muss in Bezug zu den vorzunehmenden Arbeiten stehen (Material, Rohstoffe usw.), so z. B. der Index BT 09, wenn ein Handwerker die Fliesen in Ihrem Badezimmer neu verlegt. Dieser  wird monatlich vom Nationalen Institut für Statistik und Wirtschaftsstudien (Insee) veröffentlicht und misst die Entwicklung der Kosten im Bauwesen (Materialien, Arbeitskräfte, Energie, Transport etc.).

Die Härtefallklausel (clause de sauvegarde), auch bekannt als hardship clause, ermöglicht es den Parteien, einen Vertrag neu zu verhandeln, wenn ein unvorhergesehenes Ereignis die Klauseln ungerecht oder überholt erscheinen lässt, z. B. im Falle eines unvorhersehbaren wirtschaftlichen oder technologischen Ereignisses. Die Härtefallklausel ist in gewisser Weise eine Möglichkeit, das Unvorhersehbare vorherzusehen.

Die Bedingungen und Modalitäten für Neuverhandlungen müssen vor der Unterzeichnung festgelegt werden.

Die clause de force majeure ist eine Besonderheit, da sie die Auflösung des Vertrags und nicht die Neuverhandlung seiner Bedingungen ermöglicht.
Diese Klausel schützt die Unterzeichnenden in der Hinsicht, dass sie sich unter bestimmten Umständen nicht an das halten müssen, was vertraglich vereinbart wurde.
Eine solche Bestimmung könnte Ihren Handwerker zeitweise oder dauerhaft von seinen Leistungspflichten, also der Durchführung der Bauarbeiten, befreien.

Enthält Ihr Vertrag eine solche Klausel, müssen mehrere Bedingungen gleichzeitig erfüllt sein, damit sie Anwendung findet.  
Die "Nichterfüllung" des Vertrags muss auf ein unvorhersehbares, unvermeidbares und von außen kommendes Ereignis zurückzuführen sein. Sie darf also nicht die Folge einer Handlung der Vertragsparteien sein. Typischerweise handelt es sich dabei um Naturkatastrophen, politische Unruhen, Kriege, nicht zu erwartende Regierungsentscheidungen oder Ähnliches.

Nach deutschem Recht

Eine der gängigsten Klauseln in Werk-, Dienst- oder Bauverträgen ist die sog. Preisgleitklausel, auch bekannt als Preisanpassungsklausel.

Sie ermöglicht es, den vertraglich vereinbarten Preis anzupassen. Allerdings muss vor Vertragsschluss klar definiert werden, unter welchen Bedingungen sie anwendbar ist und wie die Preisanpassung erfolgt.

Sie können sich mit dem Handwerker z. B. auf einen maximalen Prozentsatz einigen, um den die Preise für die Materialien (wie Holz, Metalle, Dämmstoffe usw.), die der Handwerker für die Arbeiten benötigt, steigen oder fallen dürfen.
Sobald dieser Prozentsatz erreicht ist, dürfen sowohl er als auch Sie eine  Preisanpassung verlangen.
Wir empfehlen dringend, in der Klausel einen festen Änderungssatz vorzusehen, der nicht überschritten werden darf, auch wenn dies nicht zwingend vorgeschrieben ist.

Nicht immer besteht die Möglichkeit, die Klausel individuell mit Ihrem Handwerker zu vereinbaren. Sie kann auch Teil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sein. In diesem Fall werden Preisgleitklauseln von der Rechtsprechung aber besonders streng bewertet, insbesondere, wenn sie gegenüber Verbrauchern verwendet werden und diese dadurch unangemessen benachteiligt werden oder eine solche Klausel nicht vorhersehbar war. In einem solchen Fall würde das Gericht die Nichtigkeit der Klausel feststellen, die damit nicht angewandt werden könnte.

Enthält Ihr Vertrag eine Klausel, die die VOB/B wirksam einbezieht, sind die speziellen Regeln der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil B anwendbar.
Dies kann sehr konkrete Auswirkungen auf Ihren Vertrag haben. Ist der Unternehmer z. B. aufgrund von Lieferverzögerungen länger als drei Monate verhindert, seine Arbeiten auszuführen, kann er den Vertrag kündigen. Dieses Sonderkündigungsrecht gibt dem Unternehmer u. U. ein Druckmittel an die Hand, um den Kunden dazu zu bringen, eine Preiserhöhung zu akzeptieren. 

Um die VOB/B wirksam einzubeziehen, muss der Unternehmer Sie zunächst darüber informieren, dass besondere Regeln gelten.
Die Einbeziehung sollte individualvertraglich und nicht in den AGB vereinbart werden.
Außerdem müssen Ihnen die besonderen Bestimmungen und Rechtsfolgen erläutert und Ihnen eine Kopie der Vorschriften ausgehändigt werden.
Schließlich müssen Sie der Einbeziehung der VOB/B durch Unterzeichnung des Vertrages zustimmen.

Diese Klausel soll sicherstellen, dass die Leistungspflichten der Parteien, in Fällen unvorhersehbarer und unabwendbarer Ereignisse, nicht unter allen Umständen erfüllt werden müssen.

Eine solche Klausel kann, je nach Formulierung, vorsehen, dass die Partien bei schwerwiegenden Ereignissen, insbesondere Unruhen, Naturkatastrophen o.Ä. das Recht zur Leistungsverweigerung, Auflösung oder Anpassung des Vertrages haben.

Diese Klausel verlangt regelmäßig ein unvorhersehbares, unvermeidbares und außerhalb der Kontrolle der Parteien liegendes Ereignis, das dazu führt, dass z. B. der Unternehmer die Arbeiten nicht unter denselben Bedingungen ausführen kann, wie sie bei Vertragsabschluss festgelegt wurden.

Für ihre Wirksamkeit sollte sie individualvertraglich vereinbart werden, da die Rechtsprechung in ihrer Bewertung auch hier sehr streng ist, wenn die Klausel lediglich Teil der AGB ist.   

Gesetze zum Schutz der Verbraucher – in Frankreich wie in Deutschland

Sowohl im französischen als auch im deutschen Recht gibt es eine gesetzliche Vorschrift, die die Vertragsanpassung ermöglicht. In der Praxis wird diese aber nur sehr eingeschränkt angewendet. Die Anforderungen an ihre Anwendung sind sehr streng. Im vorliegenden Fall zum Vorteil der Verbraucher.

Art. 1195 Code civil (französisches Zivilgesetzbuch)

Folgendes Beispiel soll helfen, die Funktion des Art. 1195 Code civil zu verstehen:

Sie haben sich dazu entschlossen, energetische Sanierungsarbeiten durchzuführen. Isolierung des Dachbodens, Neueindeckung des Daches, Austausch von Fenstern und Türen.
Sie haben verschiedene Unternehmen kontaktiert, um deren Angebote und Preise zu vergleichen. Ihnen liegen die entsprechenden Kostenvoranschläge mit den benötigten Materialien, ihrer Menge, Beginn und Dauer der Arbeiten sowie dem Gesamtpreis vor.
Nachdem Sie sich für einen der Kostenvoranschläge entschieden haben, unterschreiben Sie diesen mit dem Vermerk „bon pour accord“ oder „bon pour travaux“ (in frz. Verträgen üblich und bedeutet so viel wie „mit dem Inhalt einverstanden“). Mit der Unterschrift wird der Kostenvoranschlag zum Vertrag und somit für beide Parteien verpflichtend.

Nach Start der Bauarbeiten kommt es zu einer weltweiten Wirtschaftskrise. Ihr Handwerker macht Sie darauf aufmerksam, dass er Schwierigkeiten hat, die Schieferziegel, die PVC-Fenster, das Holz für die Haustür und die Dämmstoffe zu kaufen, da die Preise in die Höhe schnellen. Die Gründe: Es kommt immer häufiger zu Lieferengpässen und die Lieferzeiten werden immer länger.

Da er mit dem vertraglich festgesetzten Preis seine Kosten nicht decken könne, bietet er Ihnen an, den Preis angesichts der vorliegenden Umstände neu zu verhandeln. Trotz der staatlichen Förderungen ist der vorgeschlagene Preis außerhalb Ihrer finanziellen Möglichkeiten.

Sie gehen den Vertrag durch und Ihnen fällt auf, dass dieser weder eine Preisanpassungsklausel (Clause de révision de prix), noch eine Härtefallklausel (Clause de sauvegarde) oder gar eine Höhere-Gewalt-Klausel (Clause de force majeure) enthält. Das weiß auch der Unternehmer. Da Sie sich weigern, einer Preiserhöhung zuzustimmen, erklärt der Unternehmer, dass ihm nach Artikel 1195 Code civil das Recht auf Anpassung oder sogar Auflösung des Vertrages zustünde.

Gewiss gewährt dieser Artikel ein solches Recht, allerdings müssen dafür besonders strikte Anwendungsvoraussetzungen erfüllt werden, die gleichzeitig vorliegen müssen. Außerdem muss derjenige, der sich darauf beruft, Beweise erbringen.

  • Die erste Voraussetzung ist, dass die Umstände, also die Steigerung der Rohstoffkosten, nichtvorhersehbar waren. Dies wäre der Fall, wenn zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung nicht erwartet werden konnte, dass es zu Engpässen und damit verbundenen, derartigen Preissteigerungen kommen würde.
  • Die zweite Voraussetzung ist, dass die Steigerung der Materialkosten auf Seiten des Unternehmers zu unverhältnismäßig hohen Kosten führt und diese für ihn nicht zumutbar sind.
  • Die dritte Voraussetzung ist, dass der Unternehmer ein solches Risiko nicht übernehmen wollte, z. B. durch eine Klausel, laut der eventuelle Preiserhöhungen zulasten des Unternehmers gehen.   

Sollten diese Voraussetzungen vorliegen, kann der Unternehmer eine Änderung des Vertrages verlangen. Wenn Sie sich weigern zu verhandeln oder sich auf keinen Preis einigen können, können Sie entweder gemeinsam mit dem Unternehmer einvernehmlich den Vertrag auflösen oder eine der Parteien kann die Änderung des Vertrages durch eine gerichtliche Entscheidung erzwingen.

§ 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage)

§ 313 BGB entspricht in deutschem Recht Artikel 1195 des französischen Code civil.

Diese Bestimmung ermöglicht es den Parteien, unter bestimmten Voraussetzungen, die Anpassung des Vertrags (und damit insbesondere des Preises) oder sogar seine Auflösung zu verlangen. Wie bei seinem französischen Pendant sind seine Anwendungsvoraussetzungen jedoch sehr strikt.

Damit sich ein Unternehmer bei Materialpreiserhöhungen auf diesen Artikel berufen kann, muss er nachweisen, dass es sich dabei um ganz außergewöhnliche und unvorhersehbare Preissteigerungen durch Umstände handelt, die von seiner Risikoübernahme erkennbar nicht umfasst sein sollten. Ein Festhalten am Vertrag unter diesen Umständen wäre ihm nicht zuzumuten.

Die Rechtsprechung ist bezüglich der Anwendung dieses Artikels allerdings sehr zurückhaltend. So entschied der BGH beispielsweise, dass ein Werkunternehmer keine Anpassung der vereinbarten Preise verlangen kann, wenn die Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt steigen, da das Element der Unvorhersehbarkeit nicht gegeben sei.

Die einvernehmliche Preisanpassung

Eine Vertragsanpassung erfordert nicht zwangsläufig eine entsprechende vertragliche Klausel oder sogar eine gerichtliche Auseinandersetzung. Eine gütliche Einigung bleibt der einfachste Weg. 
Sind sich beide Parteien einig, können sie jederzeit einvernehmlich die Bedingungen und den Inhalt des Vertrags anpassen (einvernehmliche Änderungsvereinbarung).

Bittet Sie der Unternehmer aufgrund einer starken Erhöhung der Rohstoffpreise um die Anpassung des zu zahlenden Preises, kann er allerdings nicht die Bauarbeiten aussetzen, während er auf Ihre Antwort wartet.